Ernährungssicherheit und Resilienz
Die Zahl der Menschen, die an Hunger und chronischer Unterernährung leiden, hat nach einer Dekade der kontinuierlichen Abnahme im Jahr 2016 erstmals wieder zugenommen: Während 2015 noch geschätzte 777 Millionen Menschen an Unterernährung litten, stieg die Zahl 2016 auf 815 Millionen an. Das zeigt der aktuellste Bericht zum «Status der Ernährungssicherheit und Ernährung in der Welt (SOFI 2017)», den die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO mit anderen UN-Organisationen erstellt hat. Die Herausgeber machen vor allem die Zunahme von gewalttätigen Konflikten und Klimakatastrophen für die Trendwende verantwortlich.
Die Sicherstellung der Ernährungssicherheit hängt massgeblich von der Gestaltung der Agrar- und Ernährungssysteme ab. Diese sind aber zunehmend starken Veränderungen wie dem sich wandelnden Klima, dem Verlust an fruchtbarem Boden und dem Schwund an Biodiversität ausgesetzt. Von diesen Veränderungen ist auch die Schweizer Landwirtschaft betroffen. Zudem ist die Ernährungswirtschaft der Schweiz auch global eng verknüpft. Über 40 % der konsumierten Lebensmittel werden importiert.
Mit der Annahme der Eidgenössischen Volksinitiative für Ernährungssicherheit im September 2017 sprach sich die Schweizer Bevölkerung für eine Verankerung der Ernährungssicherheit in Artikel 104a der Bundesverfassung aus. Er definiert die folgenden Eckpfeiler, mit denen die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Lebensmitteln langfristig gesichert werden soll:
Der Erhalt der landwirtschaftlichen Produktionsgrundlagen, insbesondere des Kulturlandes;
eine standortangepasste und ressourceneffiziente Inlandproduktion;
eine auf den Markt ausgerichtete Land- und Ernährungswirtschaft;
grenzüberschreitende Handelsbeziehungen unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit;
ein ressourcenschonender Umgang mit Lebensmitteln, insbesondere die Reduktion von Lebensmittelabfällen.
Comité National Suisse de la FAO
Der neue Verfassungsartikel stärkt die Position der Schweiz, die sich seit Jahren auf internationaler Ebene in verschiedenen Gremien dafür einsetzt, dass Agrar- und Ernährungssysteme auf Ernährungssicherheit und mehr Resilienz gegenüber Veränderungen auszurichten sind. Zudem wurde das Mandat des «Comité National Suisse de la FAO» (CNS-FAO)» vor vier Jahren auf alle internationalen Fragen der Ernährungssicherheit ausgeweitet. Als wichtiges Konsultativorgan des Bundesrats für Fragen zur Ernährungssicherheit und nachhaltigen Ernährungssystemen übernimmt das Komitee somit eine wichtige beratende Funktion bei der Umsetzung des neuen Verfassungsartikels und diskutiert aktuelle Themen in diesem Bereich.
Im November 2017 widmete sich das CNS-FAO während einer Arbeitssitzung dem Thema der kurzen Versorgungsketten («Circuits courts») von Lebensmittel. Das Komitee betonte die wichtige Verbindung zwischen kurzen Versorgungsketten und dem Nexus der Resilienz von Produzentinnen und Produzenten, dem Klimawandel und der Erhaltung der Biodiversität. Viele internationale Standards und Richtlinien zu nachhaltigen Ernährungssystemen und damit auch zu kurzen Versorgungsketten müssen für ihre effektive Nutzung dem lokalen Kontext angepasst werden.
Weiter diskutiert das CNS-FAO seit 2016 die Thematik Jugend und verantwortungsvolle Investitionen. Junge Produzentinnen und Produzenten sind die Zukunft unserer Agrar- und Ernährungswirtschaft. Wie auch im globalen Süden ist die Thematik des Generationenwechsels in der Schweizer Landwirtschaft eine immer grössere Herausforderung. Der Zugang zu Finanzdienstleistungen ist für junge Menschen oft die grösste Hürde, um ihre Unternehmen oder landwirtschaftlichen Tätigkeiten zu starten, auszuweiten und ihre Resilienz zu stärken. Auf Anfrage der FAO testete das Komitee im Sommer 2018 einen FAO-Fragebogen zum Thema Jugend und verantwortungsvollen Investitionen. Dieses Pilot-Instrument hat zum Ziel, die Kapazitäten junger Menschen für die Umsetzung von verantwortungsvollen und nachhaltigen Investitionen in Agrar- und Ernährungssysteme aufzunehmen und zu beurteilen. Die geplante Überprüfung erlaubt unter anderem eine Sichtbarmachung der institutionellen Struktur, der gesetzlichen Vorgaben und der organisatorischen Ausgangslage für Jugend und Investitionen in der Schweizer Landwirtschaft.
Weitere internationale Programme und Initiativen, in welchen sich die Schweiz für Ernährungssicherheit und mehr Resilienz gegenüber Veränderungen einsetzt, sind die Globale Agenda für nachhaltige Nutztierhaltung (GASL) und die «Mountain Partnership» (MSP) zur Förderung einer nachhaltigen Bergentwicklung.
Globale Agenda für nachhaltige Nutztierhaltung
Das BLW arbeitet weiterhin mit der FAO und anderen Partnern an der globalen Agenda für nachhaltige Nutztierhaltung (Global Agenda for Sustainable Livestock, GASL). Es sind grosse Anstrengungen in der Agrarforschung und Investitionen – verbunden mit einer soliden Gouvernanz – nötig, damit der Nutztiersektor weltweit den Anstieg der Nachfrage nach Lebensmitteln tierischen Ursprungs und die sich verändernden Bedürfnisse der Bevölkerung bewältigen kann. Gleichzeitig besteht der Anspruch an den Sektor, einen Beitrag zur Bekämpfung von Armut, zur Verbesserung der Ernährungssicherheit sowie zum Schutz der Umwelt und der Gesundheit des Menschen zu leisten.
Das Ziel von GASL ist eine langfristig nachhaltige Entwicklung des Nutztiersektors, unter anderem durch effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen. Die Initiative beschäftigt sich dabei mit Themen der globalen Ernährungssicherheit und der öffentlichen Gesundheit, mit gerechtem Wachstum sowie mit natürlichen Ressourcen und Klimawandel.
Im Rahmen der Umsetzung des Aktionsplans 2016 – 2018 fanden zwei weitere globale Konferenzen der Mitglieder von GASL statt, 2017 in Äthiopien und 2018 in der Mongolei. Dabei wurde der 2016 in Panama gesetzte Kurs des Beitrages an die Umsetzung der 2030 Agenda der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen bestätigt. Es konnte erfreut festgestellt werden, dass die im Rahmen der Globalen Agenda entwickelten Instrumente, wie beispielsweise die Analysemethoden der Livestock Environmental Assessment and Performance Partnership LEAP, Anwendung in der Praxis finden.
Förderung einer nachhaltigen Entwicklung der Bergregionen: die Mountain Partnership
Die Mountain Partnership (MP) ist eine freiwillige Allianz von Akteuren der Bergregionen (Regierungen, zwischenstaatliche Organisationen, Zivilgesellschaft und private Einrichtungen), die sich für die länderübergreifende Koordination zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung der Bergregionen einsetzt und sich zur Intensivierung der Bemühungen im Hinblick auf die Umsetzung der Agenda 2030 verpflichtet, mit dem Ziel, den Beitrag resilienter Ökosysteme und Berggemeinschaften zur Errichtung einer nachhaltigen Welt zu sichern. Die MP zählt 335 Mitglieder. Ihr Sekretariat wurde 2002 gegründet, initiiert durch die Schweiz, Italien, FAO und UNEP. Es ist bei der FAO in Rom angesiedelt. Die Hauptaufgabe des Sekretariats besteht darin, die Mitglieder bei der Umsetzung des gemeinsamen Programms zu unterstützen und die Zusammenarbeit zu fördern.
Das BLW übernahm 2015 von der DEZA die Unterstützung des Sekretariats und ist seither Focal Point für die Schweiz. Das BLW unterstützt das Sekretariat und bietet der Partnerschaft Gelegenheit zur Vorstellung ihrer Tätigkeiten. Am 5. Global Meeting der MP im Dezember 2017 verabschiedeten die Regierungen und die Zivilgesellschaft im Hinblick auf die Umsetzung der Agenda 2030 ein Framework for Action für die Bergregionen in Form eines konkreten Fahrplans zur Einrichtung langfristiger Prozesse und politischer Massnahmen zur Stärkung der Resilienz der Bevölkerung und der Umwelt in den Bergregionen. Die MP hat zudem – im Schulterschluss namentlich mit der Schweiz – einen Side Event zum Thema Bergregionen und SDGs am Rande des High Level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) mit organisiert.
Eine Allianz für klimafreundliche Landwirtschaft: the Global Alliance for Climate-Smart Agriculture
Die «Global Alliance for Climate-Smart Agriculture» (GACSA) wurde durch den UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon während des Klimagipfels im September 2014 offiziell lanciert. Sie hat zum Ziel, Massnahmen zur Verbesserung der land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Praktiken und Systeme zu katalysieren, die die Produktivität nachhaltig steigern, die Widerstandsfähigkeit und die Anpassung verbessern, und die Emissionen verringern und binden.
Die GACSA ist eine Plattform, die das Wissen und die Erfahrungen der Partner koordiniert, Organisationen zusammenbringt und deren Austausch und Kooperation fördern will. Die Tätigkeiten der Allianz sind auf drei Bereiche fokussiert:
Förderung von Wissen, Forschung und Entwicklung für eine klimaintelligente Landwirtschaft;
Effizienzerhöhung von öffentlichen und privaten Investitionen; und
Schaffung günstiger Rahmenbedingungen durch die Integration von klimaintelligenter Landwirtschaft in Politiken, Strategien und Planungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene.
Das BLW unterstützte die GACSA während des ersten Jahres nach ihrer Lancierung, weil die Allianz sich sowohl mit Mitigations- wie auch Adaptionsmassnahmen befasst und die internationale Wissensgemeinschaft für die Landwirtschaft und den Klimawandel stärkt. Die Allianz zählt bis heute 236 Mitglieder und umfasst ein breites Spektrum von Interessensvertreter aus Regierungen, Privatsektor, Bauernorganisationen, Zivilgesellschaften, Forschungseinrichtungen und zwischenstaatlichen Organisationen. Das Sekretariat von GACSA ist bei der FAO in Rom eingerichtet.
Michaël Sapin, Madeleine Kaufmann, Alwin Kopse, BLW, Fachbereich Internationale Angelegenheiten und Ernährungssicherheit, alwin.kopse@blw.admin.ch
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