Schutz landwirtschaftlich wertvoller Räume
Die Arealstatistik des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigte noch vor wenigen Jahren auf, dass in der Schweiz der Kulturlandverlust rund einen Quadratmeter pro Sekunde betrug. Mit dem Inkrafttreten des revidierten eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (RPG) im Jahr 2014 sollte die Zersiedelung stark eingeschränkt und der Überbauungsdruck auf das Kulturland vermindert werden. Nichtsdestotrotz unterstehen landwirtschaftliche Räume bei der Planung von Bauwerken einer Interessensabwägung und geraten bei Bauvorhaben häufig unter Druck. Oft fehlen dann Beurteilungsmechanismen oder Handlungsvorgaben, die Entscheide über geeignete Orte von neuen Bauwerken erlauben. Die Regierung des Kantons Graubünden hat deshalb für den Schutz und die Sicherung der landwirtschaftlichen Räume die Ausarbeitung des Projekts «Schutz landwirtschaftlich wertvoller Räume im Kanton Graubünden» in Auftrag gegeben.
Zielsetzung
Im Rahmen der Projektentwicklung wurde schnell ersichtlich, dass landwirtschaftlich wertvolle Flächen nicht nur geschützt, sondern auch Gefährdungen in den betroffenen Regionen erkannt und Potenziale aufgezeigt werden müssen. Grundsätzlich sollte den regionalen und lokalen Akteuren ein Instrument zur Verfügung gestellt werden, welches bei Entscheidungsfindungen hilfreich ist und der Landwirtschaft auch Handlungsoptionen bietet. Das Gesamtkonzept des Projekts sollte unabhängig von den Strukturen und dem Aufbau des Kantons und somit auch auf andere Regionen anwendbar sein.
Vorgehen
Eine Expertengruppe aus Mitgliedern der kantonalen Amtsstellen des Amts für Landwirtschaft und Geoinformation (ALG), des Amts für Raumentwicklung (ARE), des Landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrums Plantahof, des Bündner Bauernverbands und weiteren Experten und Expertinnen hat das Projekt erarbeitet und dazu bereits im Vorfeld die landwirtschaftlichen Räume generell identifiziert und abgegrenzt. Als landwirtschaftliche Fläche wurden im Projekt die Summe der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) inklusive Fruchtfolgeflächen (FFF) und der Sömmerungsgebiete verstanden. Diese landwirtschaftliche Fläche wurde anschliessend anhand der fünf Raumtypen gemäss Raumkonzept des Kantons Graubünden in fünf landwirtschaftliche Räume unterteilt. Diese landwirtschaftlichen Räume sind in der folgenden Abbildung dargestellt.
Die Bedeutungen der landwirtschaftlichen Räume wurden nicht nur anhand der Bodenwerte, sondern auch anhand der folgenden Kriterien beurteilt:
landwirtschaftliche Produktion
technische Ressourcen
gemeinwirtschaftliche Leistungen
Natur und Landschaft
Raumordnung und Bodennutzung
Um die Heterogenität des Kantons aufgrund der Gegebenheiten (Klima, Topografie etc.) angemessen zu berücksichtigen, wurden zusätzlich in Anlehnung an das Raumkonzept acht Handlungsräume definiert. Abhängig von den regionalen Zusammenhängen und den involvierten bzw. betroffenen Akteure konnten für jeden Handlungsraum regionale Zielsetzungen ausgearbeitet werden. Die Handlungsräume sind in der folgenden Abbildung dargestellt.
Anhand der erwähnten Grundlagen konnte somit eine Analyse pro Handlungsraum in Bezug auf die landwirtschaftliche Situation erfolgen. Einerseits konnten Entwicklungspotenziale, die Gefährdungslagen und die Herausforderungen der regionalen Landwirtschaft pro Handlungsraum beurteilt, andererseits eine Synthese über den gesamten Kanton gewonnen werden. Das genaue Vorgehen kann im Projektbericht auf der Website des ARE (www.are.gr.ch > Dienstleistungen > Grundlagen und Arbeitshilfen > Landwirtschaftliche Räume) nachgelesen werden.
Faktenblätter für jeden Handlungsraum
Die Analysen pro Handlungsraum ergaben für jeden der acht Handlungsräume ein Faktenblatt. Dabei fiel die Bewertung der landwirtschaftlichen Räume aufgrund regionaler Zusammenhänge und Besonderheiten unterschiedlich aus. Auf jedem Faktenblatt wurde die Ausgangslage mit den Bewertungen, Gefährdungen, Bedrohungen sowie den Entwicklungspotenzialen für die landwirtschaftlichen Räume aufgezeigt. Zudem wurden Vorschläge für das weitere Vorgehen definiert, um diese Potenziale auf regionaler Ebene darzustellen.
Anhand der Faktenblätter sollen in jedem Handlungsraum Stossrichtungen zur Stärkung der Landwirtschaft und somit auch zur Stärkung der landwirtschaftlichen Räume gegeben werden. Sie sollten regionalen Landwirtschaftsakteuren bei konkreten Bauvorhaben als Entscheidungsunterstützung dienen. Im Projekt wird zudem auf hilfreiche Werkzeuge hingewiesen, welche die Zielerreichung der in den Faktenblättern beschriebenen Entwicklungspotenziale unterstützen. Die Projektergebnisse sind somit vergleichbar mit einem Werkzeugkasten für die Stärkung der Landwirtschaft. Als wichtigste Beispiele für die oben genannten Werkzeuge können die landwirtschaftliche Planung (LP), Projekte der regionalen Entwicklung (PRE) sowie Meliorationen genannt werden.
Topthemen als Resultate der Untersuchung über alle Handlungsräume
Die Ausscheidung der Gewässerräume führt in Graubünden vor allem in den Talebenen zu Konflikten mit den Nutzerinnen und Nutzern landwirtschaftlicher Flächen – den Landwirtinnen und Landwirten. Zusätzlich konzentrieren sich die nicht landwirtschaftlichen Nutzungen (Verkehr, Siedlungen, Industrie usw.) in denselben Gebieten. Deshalb weist das Projekt darauf hin, dass bei der Festlegung der Gewässerräume die landwirtschaftlich wertvollen Räume möglichst wenig tangiert werden sollen.
Wie bereits angesprochen, befinden sich in den Talebenen auch die landwirtschaftlich wertvollsten Räume, die Fruchtfolgeflächen (FFF). Die FFF sind neben der Gewässerraumfestlegung demnach stark den Nutzungskonflikten mit Siedlung, Industrie und Verkehr ausgesetzt.
Bei der Realisierung von Überbauungen sind nach dem Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz (NHG; SR 451) Kompensationsmassnahmen notwendig. Der Landwirtschaftsraum ist so von den Überbauungen und ebenfalls durch die Kompensationsmassnahmen direkt betroffen. Aus Sicht der Landwirtschaft bedeuten diese NHG-Massnahmen einen zusätzlichen Land- oder Produktionsverlust durch Extensivierung. Zurzeit fehlt im Kanton Graubünden eine Übersicht über geeignete Aufwertungs- und Pflegemassnahmen. Anhand einer solchen Übersicht könnte die Beeinträchtigung beziehungsweise der Verlust von wertvollen landwirtschaftlichen Flächen reduziert und zugleich Synergien im Bereich der ökologischen Vernetzung genutzt werden.
Mit der Tierschutzgesetzgebung und der Mechanisierung der Landwirtschaft sind die Ansprüche an Stallbauten stetig gestiegen. Die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe sinkt, während die zu bewirtschaftende Fläche pro Betrieb wächst. Für die Aufrechterhaltung der Bewirtschaftung sind somit immer grössere Stallbauten pro Betrieb notwendig. Der Berücksichtigung von Stallneubauten wurde im vorliegenden Projekt grosse Bedeutung beigemessen, denn die Standorte von Betrieben haben einen beträchtlichen Einfluss auf die Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Räume.
Inwiefern und in welchem zeitlichen Rahmen die Lösungsansätze der Topthemen umgesetzt werden, hängt massgeblich von politischen Zielsetzungen ab. Mit dem vorliegenden Projekt ist für die Landwirtschaft und die betroffenen Akteure jedenfalls eine Entscheidungshilfe zugunsten der Stärkung der Räume aus landwirtschaftlicher Perspektive geschaffen worden.
Gian Barandun, Amt für Landwirtschaft und Geoinformation Kanton Graubünden, gian.barandun@alg.gr.ch
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